DOK.guest Türkei: Zuhause auf zwei Kontinenten – Die Gastlandreihe beim DOK.fest München 2023

„Da gibt es etwas, das durch alles durchgeht: was ist das?“, kolportiert der Übersetzer Kawa Nemir ein kurdisches Sprichwort. „Die Sprache“, antwortet Kawa selbst, der seit 2012 das Jahrhundertwerk Ulysses ins Kurdische überträgt in TRANSLATING ULYSSES. Als die Friedensverhandlungen zwischen der türkischen Regierung und Kurd*innen von türkischer Seite aufgekündigt werden und die kurdische Community erneut unter Beschuss gerät, geht er 2018 in die Niederlande. (…)

Jene, die weggehen und ihre Stimme erheben oder in die Seiten einer Übersetzung legen, jene, die in die innere Emigration gehen, stillen Widerstand leisten – und jene, die allen Widerständen zum Trotz, laut bleiben, wie EREN. Eren Keskin ist Anwältin und Aktivistin. Ihre charismatische Gestalt taucht dort auf, wo sich Protest gegen Menschenrechtsverletzungen, insbesondere gegen Frauen und Minderheiten, regt und dort, wo er ausbleibt. „Du darfst sie Folterer nennen, aber nicht Vergewaltiger“, gibt sie die Sicht der türkischen Exekutive wieder. Weil sie aber oft genug beides sind, spricht Eren aus, was andere sich nicht trauen – dafür hängen ihr hunderte Strafverfahren an, die sie in jedem Moment in (lebenslange) Haft bringen könnten.

Während tausende Kilometer entfernt eine andere Kämpferin für ihre Sicht der Dinge einritt und dafür mit einer Fatwa belegt wurde: Die Berlinerin Seyran Ateş fordert vom Islam nicht weniger als eine sexuelle Revolution und hat sich gerade deshalb zur Imamin ausbilden lassen. Sie lebt ihre Bisexualität und ihre Überzeugung, dass die islamische Religion reformiert gehört und weigert sich, die Verbote und Gebote von orthodoxen Anhänger*innen anzunehmen. (…)

Zurück in die Türkei, wo nach dem Putschversuch 2016 mehr als 150.000 Menschen aus dem Staatsapparat, dem öffentlichen Gesundheits- und Bildungswesen entlassen wurden, weil sie den Verdacht Präsident Recep Tayyip Erdoğans, „Terrorist*innen“ zu sein, auf sich gezogen haben. So auch der Lehrer Engin und die Ärztin Yasemin in THE DECREE. „Die Patient*innen wollen ihre*n Doktor*in“ skandieren Protestierende vor den Krankenhäusern. Die beiden Protagonist*innen wollen sich nicht beugen und wollen weder ihre Schüler*innen noch ihre Patient*innen im Stich lassen und damit nicht ihr Heimatland aufgeben.

So unterschiedlich die vier Filme unserer Gastland-Reihe sind – es eint sie der Wunsch nach Würde, Freiheit und Veränderung in diesem zwiegespaltenen Land, das auf zwei Kontinenten Zuhause ist.

Sara Gómez Schüller

Das Festival findet vom 3. bis 14. Mai statt.
Mehr zum Terminen und Screenings auf dem DOK.fest in München im Rahmen der Gastlandreihe gibt es hier.

Bild: DOK.fest

Die Veranstaltung ist beendet.

Datum

03 - 14 Mai 2023
Vorbei!

Veranstaltungsort

München
Kategorie