Vortrag und Konzert mit Tayfun Guttstadt und Nilgün Aksoy
Das Leben im Exil ist für viele Menschen geprägt von Sehnsucht und Nostalgie nach einer Heimat – die real oder imaginiert sein kann. Oft ist es beides: Realität und Vorstellung verschmelzen zu einer „imaginierten Heimat“. Diese wird in kulturellen Phänomenen wie Essen, Kleidung oder Musik gesucht und oft gefunden.
Die Hinwendung zu „unserem Essen“ und „unserer Musik“ erfüllt eine wichtige Funktion in der Identitätsfindung und -Bildung, denn unsere Identitäten bilden wir zu einem wichtigen Teil selbst mit unseren Vorstellungen der Welt und von uns selbst.
Gerade die Musik hat hierbei eine unvergleichliche, identitätsbildende Kraft. Die „Klänge aus der Heimat“ versichern uns unserer Identität und sind Projektionsfläche für Wünsche, Schmerz, Hoffnung und Trauer zugleich. Viele Musiker:innen nutzen diese Kraft der Musik, um sich auszudrücken und im Exil Halt zu schaffen. Sie versuchen, eine möglichst „authentische“ Kunst zu kreieren – doch gibt es diese überhaupt?
Wie viel dieser Authentizität ist historisch gegeben, und wieviel davon ist Produkt von Nationalismus und der Erschaffung nationaler Kultur, dem sogenannten Nation Buildung?
Für manche Menschen gewinnt die „Musik aus der Heimat“ erst in der Fremde eine Bedeutung – was vorher uninteressant war, wird im Exil plötzlich als Quelle unheimlicher Bedeutung wiederentdeckt.
So unterschiedliche Menschen es gibt, so unterschiedlich sind auch die individuellen Werdegänge von Musiker:innen zwischen alter und neuer Heimat. Gemeinsam ist ihnen allen, dass die Musik als Mittel dient, die eigene Identität zu erschaffen.
Tayfun Guttstadt hat sich mit diesem Thema intensiv beschäftigt und tiefgreifende Interviews mit in Hamburg und Berlin lebenden Musiker:innen aus Syrien und der Türkei geführt und diese im Kontext der Erkenntnisse der Migrationsforschung, Nationenbildung und der Psychologie beleuchtet. Die Ergebnisse seiner Arbeit präsentiert er in einem spannenden Vortrag.
Zur musikalischen Untermalung wird Nilgün Aksoy anschließend n einem kurzen Konzert Lieder aus Anatolien präsentieren und mit den Anwesenden über ihr Verständnis von Musik und Exil reden.
Musik & Identität im Exil
19.06.2022, 15-17 Uhr im Amargi Kulturraum im Hamburger Gängeviertel
Tayfun Guttstadt – Musiker, Kulturwissenschaftler und Journalist; 1987 in Hamburg geboren, B.A. Muisikwissenschaften und Islamwissenschaften an der Uni Hamburg, M.A. Religion&Kultur an der Humboldt Universität Berlin. Lebt seit 2016 in Berlin.
Nilgün Aksoy – geboren in Istanbul, zog mit 17 gemeinsam mit ihrer Familie in die Niederlande, wo sie begann, sich intensiv mit türkischer Volksmusik zu beschäftigen. Sie erlernte die Laute Baglama, die Fidel Kemane sowie traditionellen Gesang und studierte schließlich Türkische Musik am Codarts Konservatorium in Rotterdam. Anschließend lernte sie vier Jahre lang als Schülerin des Großmeisters Talib Özkan in Paris. 2008 zog sie mit ihrem Ehemann nach Hamburg, wo die beiden die School of Anatolian Music gründeten und bis heute leben.