Lebenslang für türkischen Menschenrechtler?

10.02.2020 | News

Prozess gegen Osman Kavala

Sendetermin

So., 16.02.20 | 23:05 Uhr
Das Erste

Osman Kavala ist ein türkischer Verleger, Kunst- und Kulturförderer und ein Menschenrechtler. Er hat ein Kulturzentrum mit Galerie, gibt gerne als Sohn einer vermögenden Familie sein Geld auch für Völkerverständigung aus, wie etwa für ein Jugend-Symphonieorchester, in dem Türken und Armenier gemeinsam musizieren. Unglaublich, aber das wurde ihm zum Verhängnis: Kavala sitzt in Haft. „Das ist jemand, der sein Privatvermögen für die Kultur- und die Zivilgesellschaft eingesetzt hat. Solche Leute verdienen eigentlich, einen Orden des Präsidenten zu erhalten. Denen sollte man Denkmäler bauen und Schulen nach ihnen benennen“, erklärt Regula Venske, Präsidentin PEN Deutschland.

Osman Kavala unterstützte Gezi-Proteste

Osman Kavala war bei den Gezi-Protesten im Mai 2013 dabei. Es ging darum, den einzigen Park in Instanbuls Zentrum zu bewahren, der einer geplanten Shoppingmall weichen soll. Osman Kavala unterstützte diese größte Protestbewegung der Türkei. 

Bald verlangten die Demonstranten den Rücktritt von Ministerpräsident Erdogan, der das Land damals schon fast im Alleingang regierte. 112 Tage dauerten die Proteste, am Ende starben offiziell fünf Menschen, mehr als 8.000 wurden verletzt. Für Erdogan stand der Hauptschuldige schnell fest: Osman Kavala. „Das ist jemand, der während seiner Agententätigkeit geschnappt wurde“, sagte er. „Manche versuchen, ihn uns als Vertreter der Zivilgesellschaft, Medienmacher, Gutmenschen und guten Staatsbürger zu verkaufen, um uns in die Irre zu führen.“

Ein Anklagepunkt: Kontakte mit Ausländern. Die hat Kavala tatsächlich; so organisiert er etwa mit dem Goethe Institut einen Lesebus für Jugendliche.

Mehr als zwei Jahre im Gefängnis – ohne Verurteilung

Eine Gerichtsverhandlung gegen Kavala im letzten Jahr wurde von der Öffentlichkeit mit großem Interesse verfolgt. Die Staatsanwaltschaft verlangte eine lebenslange Haftstrafe wegen des angeblichen Umsturzversuches. Kavalas Entlassung aus der Untersuchungshaft komme wegen Fluchtgefahr nicht in Frage, so die Staatsanwaltschaft. Seit mittlerweile zweieinhalb Jahren sitzt er jetzt im Gefängnis ohne Verurteilung.

„Diese Regierung versucht, die Gezi-Proteste zu politisieren, mit Absicht“, sagt Sezgin Tanrikulu, Oppositions-Politiker (CHP). „Sie stellt sie als gezielten Umsturzversuch gegen die Regierung dar. Sie blendet aus, dass die Gezi-Proteste sich spontan und unorganisiert verbreitet haben. Nun übt die türkische Regierung Druck auf die Justiz aus, um ihre These vom Umsturzversuch bestätigt zu bekommen.“

Can Dündar ist Mitangeklagter

Einer der 16 Mitangeklagten der Gezi-Proteste lebt und arbeitet inzwischen in Berlin. Im Babylon-Kino werden gerade die Filme vom kritischen Journalisten Can Dündar gezeigt. Auch Dündars Fall ist noch offen und wird in Abwesenheit verhandelt. Im selben Prozess wie Osman Kavala. „Der Vorwurf gegen mich heißt ‚Medienarbeit während der Gezi-Proteste'“, erklärt er. „Weil die Medien damals gleichgeschaltet oder zum Schwiegen gebracht worden waren, wollten wir ein alternatives Nachrichtenangebot auf die Beine stellen. An ein paar Sitzungen hat auch Osman Kavala teilgenommen. Wir reden hier von einem Land, in dem alternative Medienarbeit mit lebenslanger Haft bedroht wird.“ 

Als man Can Dündar in der Türkei mit Anklagen nicht zum Schweigen bringen konnte, verübte ein türkischer Nationalist einen Anschlag auf ihn. Dündar blieb unverletzt. Kurz danach flieht er nach Deutschland.

Osman Kavala – ein Privatgefangener Erdogans?

Osman Kavala blieb in der Türkei und sitzt seit November 2017 in Untersuchungshaft. Immer wieder verlangen Menschen vor dem Gefängnis Silivri seine sofortige Freilassung.

„Er ist ja nicht angeklagt für etwas, das er geschrieben oder gemacht hätte“, sagt Regula Venske. „Es gibt Menschen, die sagen, er sei ein Privatgefangener Erdogans. Und er sitzt seit langer Zeit in Haft. Der Europäische Menschengerichtshof hat im Dezember seine sofortige Freilassung gefordert und angeordnet. Es gibt keinen Grund, ihn gefangen zu halten. Das ist ein eklatanter Verstoß gegen die Menschenrechte, aber die werden in diesem Fall – wie auch in anderen – leider mit Füßen getreten.“

Der PEN Deutschland setzt sich vehement für die Freilassung Osman Kavalas ein. Der Autorenverband hat eine Petition gestartet, weil er weiß, dass die türkische Justiz nicht unabhängig agiert. Der PEN-Deutschland fordert eine Intervention auf höchster Ebene, damit Osman Kavala endlich frei kommt. „Wir versuchen natürlich auch, auf Politiker einzuwirken, dass sich führende deutsche Politiker für Osman Kavala einsetzen und seine Freilassung fordern“, so Ralf Nestmeyer, PEN Writers-in-Prison.

In zwei Tagen wird der Prozess gegen Osman Kavala fortgesetzt. Das Urteil wird auch ein Signal sein für die Zukunft der Menschenrechte in der Türkei.

(Beitrag: Halil Gülbeyaz)