Erdoğans Spiel mit dem Feuer der religiösen Polarisierung

13.07.2020 | News

Hagia Sophia nun eine Moschee:

„Die Umwandlung der Hagia Sophia zu einer Moschee heißt der restlichen Welt mitzuteilen, dass die Türkei kein
laizistisches Land mehr ist. Millionen von Menschen in der
Türkei sind dagegen, doch ihre Stimmen werden nicht gehört.“
Orhan Pamuk, Literatur-Nobelpreisträger

Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan schließt sich schon seit vielen Jahren der Forderung konservativ-religiöser und fundamentalistischer Gruppierungen an, die Hagia Sophia wieder zur Moschee zu machen. Das Oberste Verwaltungsgericht der Türkei hat am Freitag entschieden, dass der Hagia Sophia der Status als Museum aberkannt werden soll. Das Gericht berief sich dabei in einer zweifelhaften Begründung auf die Besitzansprüche des Osmanischen Reiches. Dabei ist zu beachten, dass die Justiz in der Türkei weitgehend gleichgeschaltet ist und dem Einfluss des Präsidenten und der regierenden AKP unterliegt.

Erdoğan verglich die Angelegenheit in einer ersten Rede mit der al-Aqsa-Moschee in Jerusalem und verkündete, dass bereits am 24. Juli in der dann wieder als Moschee fungierenden Hagia Sophia das erste öffentliche Gebet stattfinden soll.

Die Hagia Sophia, erbaut im 6. Jahrhundert n. Chr., galt lange als wichtigste Kirche des orthodoxen Christentums. Nach der Eroberung des damaligen Konstantinopels im Jahr 1453 wurde sie zur bedeutendsten Moschee des Osmanischen Reiches. Nach dessen Ende wurde sie 1934 unter Mustafa Kemal Atatürk zum Museum und ist seither ein symbolisch aufgeladener Ort, der Christentum und Islam in sich vereint; sie steht in der Weltkulturerbe-Liste der UNESCO.

Gegen die jetzige Entscheidung regt sich weltweiter Protest. In einem Statement fordert die UNESCO die türkische Regierung auf, umgehend in einen Dialog einzutreten.

„Die Hagia Sophia ist ein architektonisches Meisterwerk und ein einzigartiges Zeugnis der Interaktion zwischen Europa und Asien im Verlauf der Jahrhunderte. Ihr Status als Museum reflektiert ihr universelles Erbe und macht sie zu einem kraftvollen Symbol für den Dialog“, sagt UNESCO Generaldirektorin Audrey Azoulay.

Die UNESCO mahnt, dass nicht abgestimmte Veränderungen am Gebäude zum Verlust des Kulturerbe-Status führen könnten. Diese waren zum Teil bereits von den Osmanen übermalt und später in mühsamer restaurativer Arbeit wieder freigelegt worden.

Das KulturForum TürkeiDeutschland schließt sich den Bedenken und der Kritik der UNESCO an und verurteilt die Umwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee. Angesichts der 3200 Moscheen allein in Istanbul besteht hierfür keine sachliche Notwendigkeit. Auch viele Menschen in der Türkei sind laut Umfragen der Meinung, dass es sich um ein wahltaktisches Manöver Erdoğans angesichts des rapiden wirtschaftlichen Verfalls handelt. Es ist zugleich die Vereinnahmung eines Symbols, die dazu geeignet ist, den Konflikt zwischen der Türkei und Griechenland sowie das Verhältnis zwischen der Türkei und befreundeten Staaten, aber auch zwischen Christen, Muslimen und Andersdenkenden, zu beschädigen.

Das KulturForum ruft alle Menschen, vor allem Christen und Muslimen, gerade jetzt zur Besonnenheit und zum friedlichen Umgang miteinander und mit allen Andersdenkenden auf: lassen wir uns nicht durch Provokationen machtbesessener Autokraten auseinander dividieren. Es gilt mehr denn je, den friedlichen Dialog und die gegenseitige Verständigung voranzutreiben.