Editorial Dezember

13.12.2022 | Infomail

Liebe Freundinnen und Freunde des KulturForums,

die Nachricht über die Verurteilung von İstanbuls Oberbürgermeister Ekrem İmamoğlu hat Schockwellen in der türkischen Opposition ausgelöst. Ein Gericht sah es für erwiesen an, dass der Politiker Wahlbeamte beleidigte habe. Sollte das Urteil Bestand haben, drohen ihm zwei Jahre und sieben Monate Haft sowie Politikverbot. İmamoğlu gilt als einer der Hoffnungsträger der größten Oppositionspartei CHP – und als ein möglicher Gegenkandidat zu Präsident Erdoğan. Angesichts der richtungsweisenden Wahlen 2023 und der längst nicht mehr unabhängigen Justiz kann das Urteil als erneute Botschaft an oppositionelle Kräfte gewertet werden: diese AKP-Regierung wird mit allen Mitteln versuchen, an der Macht zu bleiben.  

Aus Deutschland könnte es demnächst auch einmal Positives zu vermelden geben: Die Bundesregierung plant, die Mehrfachstaatsbürgerschaft wieder zu ermöglichen und den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit zu erleichtern. Dies würde die jahrzehntelange Ungleichbehandlung auch vieler türkeistämmiger Menschen beenden, die im Gegensatz zu vielen anderen Menschen mit Migrationsgeschichte bisher nicht die Option auf beide Staatsbürgerschaften hatten. 

Blickt man jedoch auf die öffentlichen Diskussionen, fühlt man sich teilweise in die 90er Jahre zurückversetzt. Vom „Verramschen“ der Staatsbürgerschaft ist bei einigen CDU-Politikern die Rede und die Ausgabe des Doppelpasses soll auf wenige Ausnahmen beschränkt sein. Dabei kommt die Reform zumindest teilweise der längst überfälligen Anpassung an die Realität einer Einwanderungsgesellschaft gleich.

In der Türkei ist der Wahlkampf indes voll im Gange. Die aktuelle Regierung setzt momentan vor allem auf außenpolitischen Themen, um ihre Wählerschaft bei Laune zu halten. So nutzt Präsident Erdoğan jeden Anlass um sich in den NATO-Beitrittsverhandlungen mit Finnland und Schweden als Hardliner zu profilieren. Neben Waffenlieferungen fordert er auch die Auslieferung von in den Ländern lebenden türkischen Staatsbürger:innen, denen in der Türkei Haft und Gerichtsprozesse wegen angeblicher Verbindung zu terroristischen Vereinigungen drohen. 

Jüngst kam es in Schweden mit Mahmut Tat zu einer Ausweisung, die in bei AKP-nahen Medien als Erfolg des Regierungskurses gewertet wurde. Währenddessen setzt die Erdoğan-Regierung die Bombardierung mehrerer kurdisch bewohnten Ortschaften in Nordsyrien fort – begleitet von kaum vernehmbaren Protesten seitens der USA, EU und der Bundesregierung.

Trotz dieser kafkaesken Verhältnisse gibt es auch noch gute Nachrichten aus der Türkei: der Journalist Nedim Türfent wurde nach sechs Jahren aus der Haft entlassen. Türfent war wegen seiner Berichterstattung in der Südosttürkei in der Stadt Van festgenommen worden. Erst kürzlich sind Gedichte und Texte, die er während der Zeit im Gefängnis verfasst hat, auf türkisch und deutsch erschienen.

Frohe Feiertage und einen guten Start ins neue Jahr wünscht Ihnen das Team des KulturForums

Bild: turizmavrupa.net