Editorial Mai 2025

13.05.2025 | Infomail, Newsletter

Liebe Freundinnen und Freunde des KulturForums,

Die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK hat sich gemäß den Ankündigungen ihres seit über 25 Jahren inhaftierten Vorsitzenden Abdullah Öcalan aufgelöst. Mit Spannung wird nun erwartet, ob der eingeleitete Friedensprozess von der versprochenen Demokratisierungswelle begleitet und die kurdische Bevölkerung in der Türkei endlich gleichberechtigt behandelt wird. Skeptiker sehen im Vorgehen der AKP und ihrer Bündnispartnerin MHP eher ein taktisches Manöver, um bei möglichen vorgezogenen Neuwahlen an der Macht zu bleiben.

Einige Tage vor dem Ende der bewaffneten Auseinandersetzungen ist mit Sırrı Süreyya Önder eine der zentralen Figuren im Friedensprozess am 3. Mai im Alter von 62 Jahren in Istanbul gestorben. Der aus einer turkmenischen Familie in der Provinz Adıyaman stammende Önder war Filmemacher, Schauspieler, Kolumnist und nicht zuletzt ein Wortführer der prokurdischen Partei DEM und ihrer Vorgängerorganisationen. 2013 gehörte er zu den prominenten Gesichtern bei den Gezi-Protesten. Aufgrund seiner politischen Überzeugungen und seines Einsatzes für eine Lösung der kurdischen Frage wurde Önder mehrfach inhaftiert. Im Gegensatz dazu würdigten nach seinem Tod selbst die regierungstreuen Medien in der Türkei sein politisches Vermächtnis. Bei den aktuellen Gesprächen zwischen PKK-Gründer Öcalan und dem türkischen Staat war er maßgeblich beteiligt – und wird der progressiven Bewegung in der Türkei fehlen.   

Ungeachtet dessen geht die türkische Justiz weiter gegen Oppositionelle vor. In einer weiteren Verhaftungswelle wurden Angestellte der Stadtverwaltung und Mitglieder der CHP wegen Korruptionsvorwürfen inhaftiert. Zudem wurde der X-Account (ehemals Twitter) des weiterhin in Untersuchungshaft sitzenden Istanbuler Oberbürgermeisters İmamoğlu mit fast zehn Millionen Followern in der Türkei gesperrt. 

Unabhängig davon, ob Trump und Putin persönlich daran teilnehmen oder nicht, ist es offenkundig, dass Erdoğan auch die Verhandlungen zwischen Russland und Ukraine, die am 15. Mai in Istanbul stattfinden sollen, parteipolitisch instrumentalisieren wird. Gleichzeitig gehen in der Türkei weiterhin zehntausende Menschen auf die Straße. Die CHP organisiert an verschiedenen Orten des Landes Kundgebungen, zuletzt in der südöstlichen Provinz Van sowie in Istanbul. Laut einer neuen Umfrage von Metropoll genießt İmamoğlu weiterhin hohes Ansehen in der Bevölkerung und würde bei einer Stichwahl um das Präsidentenamt aktuell vor dem amtierenden Erdoğan liegen. Eine Folge der aktuellen Repressionswelle ist die anhaltende Suspendierung der EU-Beitrittsgespräche mit der Türkei. 

In der aktuellen Rangliste von Reporter ohne Grenzen ist die Türkei um einen Platz auf Rang 159 von 180 Ländern abgerutscht. Um die Stimmen in der türkischen Medienlandschaft zu unterstützen, die trotz aller Repressionen eine kritische Alternative zu den staatstreuen Medien bieten, hat PEN Berlin gemeinsam mit dem KulturForum und vielen anderen Partnerorganisationen eine Spendenkampagne ins Leben gerufen. In der gegenwärtigen Situation brauchen die demokratischen Kräfte in der Türkei nicht nur moralische, sondern auch materielle Unterstützung.

Bild: Der CHP-Vorsitzende Özgür Özel bei einer Kundgebung in Van im Südosten der Türkei – © CHP