Editorial Juni 2025

16.06.2025 | Infomail

Liebe Freundinnen und Freunde des KulturForums,

Die rasante Eskalation des Krieges zwischen Israel und Iran bestimmt auch weitgehend die politische Agenda der Türkei – als Nachbarstaat des Iran und langjähriger Partner Israels im Rüstungsbereich. Während die israelische Offensive öffentlich verurteilt wird, versucht Erdoğan, sich auch in dieser Frage als Vermittler ins Gespräch zu bringen. Nach Meinung politischer Beobachter könnte eine Fortsetzung der gegenseitigen Angriffe auch den eingeleiteten Friedensprozess mit der kurdischen PKK beeinflussen.

Bei der mittlerweile fünften Verhaftungswelle gegen die von der Oppositionspartei CHP geführten Stadtverwaltung in Istanbul wurden 22 Personen festgenommen, darunter auch fünf Bezirksbürgermeister. Die Istanbuler Staatsanwaltschaft hat unterdessen angeordnet, alle Videos, Bilder und Tonaufnahmen des inhaftierten Istanbuler Oberbürgermeisters Ekrem İmamoğlu aus dem öffentlichen Nahverkehr zu entfernen. Seit einigen Wochen ist stattdessen eine große Plakatkampagne mit dem Konterfei von Präsident Erdoğan in der Stadt zu sehen.

Ekrem İmamoğlu sitzt seit fast drei Monaten wegen Korruptionsvorwürfen in Untersuchungshaft. In der Türkei des Jahres 2025 ist er damit nur einer von zahlreichen oppositionellen Gefangenen. Zu ihnen gehören der Ex-Abgeordnete Can Atalay von der Türkischen Arbeiterpartei TIP, die ehemaligen Ko-Vorsitzenden der kurdischen DEM-Partei, Selahattin Demirtaş und Figen Yüksekdağ sowie der Kulturvermittler Osman Kavala.

Auch im laufenden Friedensprozess zwischen der PKK und der türkischen Regierung spielen die Haftbedingungen und die Rechtsstaatlichkeit im Land eine Rolle. In einer Rede im Parlament forderte die Ko-Vorsitzende der DEM-Partei, Tülay Hatimoğulları, dass chronisch kranke Gefangene aus der Haft entlassen werden und die Türkei den Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte endlich Folge leistet. Seit die PKK ihre Auflösung öffentlichkeitswirksam bekanntgegeben hat, hat sich vonseiten der türkischen Regierung nur wenig Sichtbares getan.

Vom Friedensprozess scheinbar unberührt, geht die Kriminalisierung kurdischer Oppositioneller ungebrochen weiter. Die französisch-kurdische Regisseurin Kudret Güneş wurde Ende Mai bei ihrer Einreise in die Türkei in Gewahrsam genommen und steht seitdem unter Hausarrest. Der feministischen Künstlerin wird Propaganda für eine terroristische Organisation, der PKK, zur Last gelegt. Als Begründung wurden über zehn Jahre alte Social-Media-Beiträge vorgelegt sowie ihre Graphic Novel „La Liberté dans le sang“ aufgeführt, in der sie die Geschichte einer jungen kurdischen Frau im Widerstand erzählt.

Eine hervorragende Analyse zur Situation in der Türkei von Dr. Günter Seufert, ehemaliger CATS-Direktor und KulturForum-Mitarbeiter, finden Sie hier.

Laut Angaben der alevitischen Verbände in der Türkei und der in London ansässigen Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte gehen die feindseligen Handlungen des neuen Regimes in Damaskus gegen syrische Aleviten unvermindert weiter. Die neuen Machthaber werden von Erdoğan und seiner Regierung als „Brüder im Geiste” behandelt. Zu den aktuellen Entwicklungen finden Sie hier ein Interview mit Prof. Dr. Jens Kreinath.

Bild: Protest des türkischen Vereins für Menschenrechte IHD für die Freilassung der inhaftierten, schwerkranken Fatma Tokmak