Editorial Januar 2024

16.01.2024 | Newsletter

Rund zwei Monate vor den Kommunalwahlen ist die Türkei umringt von Krisenherden. In den letzten Monaten intensivierte die türkische Luftwaffe Angriffe auf die von kurdischen Milizen kontrollierten Gebiete Nordsyriens und zerstörte dabei auch Teile der zivilen Infrastruktur. Nach Anschlägen der PKK im Nordirak kommt es auch dort zu türkischen Luftangriffen. Die jüngsten Attacken ihrer NATO-Partner USA und Großbritannien auf Ziele im Jemen bezeichnete Präsident Erdoğan als Bestrebungen, das Rote Meer in „ein Meer aus Blut“ zu verwandeln, während die AKP-Regierung im Nahost-Konflikt weiter die Hamas unterstützt und zeitgleich im letzten Jahr ihr Handelsvolumen mit Israel vergrößert hat. Auffallend zurückhaltend ist die AKP-Regierung bei der eingereichten Völkermord-Klage Südafrikas gegen den Staat Israel, der nach den Greueltaten von der Hamas bei Militäraktionen im Gaza-Streifen über 22.000 Palästinenser getötet hat; denn Nelson Mandela und seine Nachfolger haben sich stets kritisch gegenüber der Kurdenpolitik der Türkei geäußert.

Auch innenpolitisch geht der Dauerkrisenmodus weiter. Im Zentrum steht aktuell der Konflikt zwischen verschiedenen Gerichtsbarkeiten, bei dem der AKP das Verfassungsgericht zunehmend ein Dorn im Auge zu sein scheint. 

Präsidentenberater Mehmet Uçum kritisierte, dass das oberste Gericht das Handeln der demokratisch gewählten Regierung behindern würde und Dekrete des Präsidenten achten sollte. Oppositionelle Kräfte sehen hingegen den letzten Funken Rechtstaatlichkeit in der Türkei in Gefahr und warnen angesichts der anstehenden Kommunalwahlen vor den Folgen für alle demokratischen Akteurinnen und Akteure im Land. 

Ein Jahr nach den verheerenden Erdbeben im Südosten der Türkei ist die Situation in den betroffenen Gebieten weit weg von Normalität. Der versprochene schnelle Wiederaufbau lässt auf sich warten, laut UN sind 5,2 Millionen Menschen immer noch hilfsbedürftig. In ersten Gerichtsverfahren müssen sich aktuell vor allem private Bauunternehmer verantworten. Derweil fühlen sich Betroffene teils allein gelassen: Tausende Gebäude sind immer noch nicht für ihre Bewohnerinnen und Bewohner zugänglich, weil es bei den Behörden Uneinigkeit über deren Status gibt.   

Auch in Deutschland ist man nicht immun gegenüber Diskursverschiebungen. Nachdem es zunächst um „Obergrenzen“ für Geflüchtete ging und selbst der sozialdemokratische Bundeskanzler sich für eine neue Härte im Abschieben aussprach, ist nun der Begriff der „Remigration“ im Mainstream angekommen. Einer Recherche von Correctiv zufolge haben sich in einer Villa in Potsdam rechtsextreme Eliten getroffen um darüber zu sprechen, wie man Menschen mit Zuwanderungsgeschichte aus dem Land vertreiben kann. Unter den Teilnehmenden war auch mindestens ein CDU-Mitglied. Der folgende mediale Aufschrei war groß; und an vielen Orten der Republik stehen die Menschen auf und stellen sich gegen die Rechtsextremisten, die Millionen Menschen in Deutschland Entrechtung, Gewalt und Vertreibung androhen.

Bild: https://twitter.com/tip_isvicre