Liebe Freundinnen und Freunde des KulturForums,
in der Türkei stehen sechs Monate nach den Präsidentschaftswahlen schon wieder die nächsten Wahlen an: Im März 2024 geht es bei den Kommunalwahlen unter anderem um die einflussreichen Oberbürgermeisterpositionen in Istanbul, Ankara und Izmir. Stellten sich beim letzten Mal die IYI-Partei und die prokurdische HDP noch hinter den Kandidaten der größten Oppositionspartei CHP, sieht es dieses Mal anders aus.
Als Konsequenz der vergangenen Präsidentschaftswahlen, bei denen sich einige Oppositionsparteien auf einer dünnen Kompromissbasis letztlich erfolglos zu einer Allianz gegen die regierende AKP zusammengeschlossen hatten, stimmten nun die Parteigremien der IYI-Partei gegen eine gemeinsame Kandidatur. Die HDP-Nachfolgepartei DEM hält es sich offen, zumindest bei den Oberbürgermeisterwahlen noch in einer Allianz anzutreten, steht in ihrem Kerngebiet im Südosten jedoch stark unter Druck.
Nach den letzten Kommunalwahlen hatte sie zwar in 65 Stadtverwaltungen in den mehrheitlich kurdischen Gebieten den oder die Bürgermeister gestellt, davon wurden mittlerweile aber 48 durch „Statthalter“ der AKP-Regierung ersetzt. Auch das Damokles-Schwert des Parteiverbots schwebt immer noch über der Partei für Emanzipation und Demokratie der Völker, die aufgrund eines Entschiedes des Obersten Gerichtshofes eine Änderung ihres stark an alte Parteinamen erinnernden Akronyms HEDEP in DEM beschlossen hat.
Wirtschaftskrise verschärft sich
Den letzten offiziellen Inflationszahlen der türkischen Statistikbehörde TÜIK zufolge, ist die Rate im Vergleich zum Vorjahr aktuell bei 62 Prozent – ein Wert, der den türkischen Finanzminister Mehmet Şimşek dennoch „hoffnungsvoll“ stimmt. Ein Indikator dafür, wie die Stimmung im Land ist, kommt indes aus dem deutschen Bundesamt für Migration und Flüchtlinge: Mehr als 10.000 Menschen aus der Türkei stellten im November einen Asylantrag in Deutschland – nur von Syrerinnen und Syrern kamen noch etwa 1500 Anträge mehr.
Exodus hält an
Neben der wirtschaftlichen Misere und den noch immer verheerenden Auswirkungen des Erdbebens im Südosten des Landes gilt vor allem die politische Situation als Fluchtgrund. Auffällig ist, dass von den Antragstellenden laut BAMF 84 Prozent kurdischstämmig sind. Wie hoch dabei die Erfolgschancen für Menschen aus der Türkei stehen, ist ungewiss – immerhin ist die Türkei NATO-Mitglied und hat selbst eine große Zahl an Geflüchteten aufgenommen.
Die NATO-Mitgliedschaft der Türkei hält Präsident Erdoğan indes nicht davon ab, mit rhetorischen Salven gegen Israel zu schießen. Auch die Bedenken des Bündnispartners USA, dass die türkische Regierung maßgeblich zur Finanzierung der Hamas beiträgt, wurden von Ankara bisher barsch abgewiesen – schließlich gelte die Hamas in der Türkei nicht als Terrororganisation. Zu wertvoll scheint dem Erdoğan-Regime die Möglichkeit sich dem eigenen Elektorat und der muslimischen Welt zumindest in der Rhetorik als Fürsprecher der Palästinenser zu gerieren. AKP-nahe Medien verschärfen den Diskurs mit antisemitischen Titelblättern, während es für Präsident Erdoğan auch bei diesem Konflikt nur um die Stärkung der eigenen Interessen geht – und die Handelsbeziehungen mit Israel von der aktuellen Lage unberührt weiterlaufen.
Bild: Ein Bündnis von Gewerkschaften protestiert gegen niedrige Löhne und die Arbeitsbedigungen im Textilsektor – Foto: https://twitter.com/diskgidais