Liebe Freundinnen und Freunde des KulturForums,
nach 86 Jahren als Museum wurde die Hagia Sophia nun wieder zur Moschee umgewandelt. Am 24. Juli beteten mehrere Hundert Menschen, darunter auch Staatspräsident Erdoğan in, und nach offiziellen Angaben mehrere Hunderttausend Menschen vor der Hagia Sophia. Ob das das Ende der säkularen Türkei sein wird, wie die F.A.Z. annimmt oder es laut Süddeutsche Zeitung um die Machtpolitik des türkischen Präsidenten geht, wird sich noch zeigen. Einen ersten Geschmack gab der Chef der Diyanet, des staatlichen Amtes für Religionsangelegenheiten, Ali Erbaş, indem er während der Freitagspredigt in der Hagia Sophia ein Schwert als Symbol der Eroberung in der Hand hielt.
Die Gesellschaft für Byzantinische Studien AIEB hat jedenfalls seinen für 2021 in Istanbul geplanten Kongress abgesagt, offiziell wegen der Corona-Pandemie. An dem Virus erkranken nach offiziellen türkischen Angaben täglich etwa 1000 Menschen. Die Maskenpflicht in der Öffentlichkeit in 48 Provinzen wurde kürzlich bis zum 30. August verlängert. Weiterhin steht die Türkei auf der Liste der Länder, für die eine Reisewarnung ausgesprochen wurde.
In der Bundesrepublik nutzen rechtsradikale Kräfte die berechtigten Sorgen breiter Schichten vor unabsehbaren Pandemie-Folgen weiterhin für ihre populistischen Ziele aus. Bei einer Demonstration am vergangenen Wochenende in Berlin konnten die Veranstalter etwa 20.000 Personen mobilisieren. Die nach wie vor ungeklärten Drohbriefe und -Mails an ihre vor allem weiblichen Gegner, offensichtlich auch aus Polizei-Kreisen (NSU 2.0) in Hessen und Bayern, machen es noch einmal deutlich, wie dringend und konsequent die Demokratie vor Angriffen der Rechtsextremisten verteidigt werden muss. Wegen der Drohmails hat es im bayerischen Landshut zwei vorläufige Festnahmen gegeben: Ein pensionierter Polizist soll für einige der Mails verantwortlich sein. BR24 berichtet darüber.
Die Türkei setzte währenddessen über die viertägigen Feiertage („Opfer-Fest“) leise ihre Forschungen und Erdgas-Probebohrungen im östlichen Mittelmeer aus. Kurz vorher war es zu einer Eskalation gekommen, als Schiffe der Marine Griechenlands und der Türkei sich in der Ägäis gegenüberstanden.
Während seine Umfrage-Werte kontinuierlich sinken (laut aktueller Umfragen würden etwa 35% der Wahlberechtigten z.Zt. die AKP wählen), versucht Erdoğan durch riskantes Zündeln an weiteren Krisen-Herden seine Anhängerschaft zumindest zu konsolidieren: Nach Interventionen im Irak, Syrien und Libyen, auch unter Einsatz von ausländischen Söldnern, beteiligen sich die türkischen Streitkräfte nun auch an den Manövern an der aserbaidchanisch-armenischen Grenze – parallel zu armenisch-russischen Kriegsspielen im Kaukasus. Erdoğan kann beruhigt sein – Die Zeit und andere Medien berichten in diesen Tagen übereinstimmend: „Deutsche Rüstungsexporte in die Türkei bleiben stabil“ – trotz einem teilweisen Rüstungsstopps schon seit dem Einmarsch in Syrien.
Der langjährige deutsche Botschafter in Ankara, Martin Erdmann, bescheinigte folgerichtig in einem DLF-Interview dem Erdoğan-Regime ein „neoosmanisches Denken“, weitgehende Repressalien und eine aggressive Rhetorik, wobei er betonte, dass in der Zivilgesellschaft der Türkei „die demokratischen Reflexe“ nach wie vor funktionieren.
Bleiben Sie, bleiben wir also gesund – und wachsam!
Mit besten Grüßen aus Köln
Ihr KulturForum-Team
Mikis Theodorakis 95 Jahre!
Das KulturForum gratuliert dem Gründer unserer Griechisch-Türkischen Initiative herzlichst; Mikis Theodorakis ist und bleibt unser großer griechischer Freund, Komponist, Musiker, Freiheitskämpfer, Politiker. Alles mit Leidenschaft, und immer wieder ankämpfend gegen Widerstände, gegen Gewalt, gegen Unterdrückung.
Ein Gespräch mit Mikis Theodorakis in der Junge Welt.
Audio-Feature von Theodora Mavropoulos auf SWR2.
Ende der kritischen Internet-Plattformen? Neues Gesetz reguliert soziale Medien
Mit dem neuen Gesetz will die AKP-Regierung Anbieter wie Twitter oder Facebook dazu zwingen, in der Türkei Niederlassungen zu eröffnen. Dadurch seien diese juristisch belangbar, so die Regierung. Verstoßen Inhalte im Netz gegen in der Türkei geltende Regeln, drohen den künftigen Vertretern der Anbieter Strafanzeigen. Bei Diensten, die keine Niederlassungen in der Türkei eröffnen, wird die Bandbreite um bis zu 90 Prozent reduziert. Anfang Juli hatte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan einen Gesetzentwurf zur stärkeren Kontrolle sozialer Medien angekündigt, nachdem seine Tochter und sein Schwiegersohn in einer Serie von Tweets beleidigt worden sein sollen. Mindestens elf Personen wurden daraufhin verhaftet und verhört.
Kritiker befürchten, dass mit Inkrafttreten des Gesetzes am 1. Oktober die wenigen, noch verbliebenen oppositionellen Medien mit dem Internet ihre wichtigste Plattform verlieren werden. Viele dieser Medien sind über YouTube oder Periscope sowie Facebook live empfangbar.
Deutsche Welle Türkisch berichtet über die Details des neuen Gesetzes.
Was das Gesetz noch alles bewirken kann, steht auch im Spiegel.
Tritt die Türkei aus der Istanbul-Konvention aus?
Trotz aller öffentlichen Debatten und Gesetze zum Schutz von Frauen nimmt die Anzahl der Femizide in der Türkei Jahr für Jahr zu; allein im Monat Juli 2020 wurden nach Angaben von Frauenverbänden 45 Frauen ermordet. Dennoch ist in der Türkei eine Diskussion über die Istanbul-Konvention zugange, die eigentlich Schutz für Frauen bieten soll. Islamistische Ordensführer und ihre Anhänger in der AKP fordern, dass die Türkei aus der Konvention des Europarats, in der Frauenrechte völkerrechtlich verbindlich festgelegt wurden, wieder austreten soll. Der Zeitpunkt der Forderung ist geschickt gewählt: Erdoğans Wiederwahl wackelt wegen der schlechten Wirtschaftslage. Daher erhoffen sich Islamisten politische Zugeständnisse.
Derzeit teilen weltweit Frauen unter Hashtags wie #womensupportingwomen und #ChallengeAccepted Schwarzweißfotos in sozialen Medien. Die Kampagne geht auf einen Fall in der Türkei zurück, bei dem eine 27-Jährige Frau von ihrem Ex-Freund ermordet wurde. Bislang sind über 3,8 Millionen Beiträge der Herausforderung auf Instagram erschienen.
Die taz berichtet hier.
Gazete Duvar schreibt auf Englisch über die Hintergründe.
Neues Gesetz soll Anwaltskammern schwächen
Das türkische Parlament hat trotz heftiger Proteste von Juristen in vielen Städten eine umstrittene Gesetzesänderung zur Neuorganisation von Anwaltskammern verabschiedet. Die Neuregelung ermöglicht die Gründung mehrerer Anwaltskammern in Provinzen mit mehr als 5.000 Mitgliedern wie Ankara und Istanbul. Die traditionell regierungskritischen Kammern vergeben Rechtsanwaltslizenzen.
Die Regierung argumentiert, dass die große Anzahl von Mitgliedern in den Anwaltskammern zurzeit die Kommunikation erschwere. Die jetzigen Anwaltskammern sehen in der Reform jedoch vielmehr das klare Ziel, den Einfluss der regierungskritischen Kammern durch mehrere neue Kammern zu verringern.
Die Süddeutsche Zeitung berichtet über die vorausgehenden Proteste.
Bianet berichtet auf Englisch über das Berufungsverfahren gegen das Gesetz.
Deniz Yücel wegen Terrorpropaganda verurteilt
In Abwesenheit des „Welt“-Journalisten sprach ein türkisches Gericht den ehemaligen Türkei-Korrespondenten schuldig, er wurde zu 2 Jahren und 9 Monaten Haft verurteilt. Vom Vorwurf der Volksverhetzung wurde Yücel freigesprochen. Während Bundesaußenminister Maas das Urteil als ein falsches Signal bezeichnete, sagte der Sprecher des KulturForums, Osman Okkan, im WDR, das skandalöse Urteil zeige erneut, wie willfährig der türkische Justizapparat unter einem autokratischen Präsidenten geworden ist. Auch die Grünen-Politiker Claudia Roth und Cem Özdemir reagierten bestürzt: „Das unfassbare Urteil gegen Deniz Yücel wurde allem Anschein nach im Präsidentenpalast getroffen und ist zugleich ein Urteil gegen Pressefreiheit und Menschenrechte in der ganzen Türkei“, hieß es in einer gemeinsamen Presseerklärung. Seinen Gefängnisaufenthalt in der Türkei bezeichnete Deniz Yücel „als eine Auszeichnung für seine journalistische Arbeit“.
Das KulturForum hat dazu eine Presseerklärung herausgegeben.
Eine Zusammenfassung der Reaktionen auf das Yücel-Urteil veröffentlichte die Tagesschau.
Die Zeit sprach nach dem Urteil mit Deniz Yücel.
Über 1000 Tage in Haft: Osman Kavala
Am Montag, den 27. Juli 2020, befand sich der Kulturmäzen Osman Kavala nun seit 1000 Tagen im Hochsicherheitsgefängnis in Silivri in Haft. Vor knapp drei Jahren wurde der Gründer der “Kulturstiftung Anadolu” in Istanbul zunächst ohne Angabe von Gründen inhaftiert, später wurde er wegen der Beteiligung an den Gezi-Protesten, an denen im Sommer 2013 landesweit Millionen Menschen teilnahmen, angeklagt. Man warf ihm vor, Mitorganisator der Proteste gewesen zu sein. Beweise für diese absurde Behauptung konnte die Staatsanwaltschaft nicht vorlegen: Kavala wurde im Januar 2020 freigesprochen.
Auf den Freispruch für Osman Kavala folgte umgehend die nächste konstruierte Anklage: Nun soll er am Putschversuch vom Juli 2016 beteiligt gewesen sein. Beweise für diese Behauptung kann die Staatsanwaltschaft abermals nicht vorlegen. Der Grund ist simpel: Es gibt keine.
WDR5 Scala sprach mit dem Sprecher des KulturForums, Osman Okkan, über die Haft von Osman Kavala.
Interview (Englisch) mit Osman Kavala auf Bianet.
Künstler mischen sich ein – “Wir haben keine Angst”
Mit einer gemeinsamen Erklärung haben sich zahlreiche KünstlerInnen, darunter Zülfü Livaneli, Zeynep Oral, Bedri Baykam, Nihat Behram, Ataol Behramoğlu und viele andere, zu der aktuellen Lage in der Türkei geäußert. Die Erklärung liest sich wie eine Generalabrechnung mit der aktuellen Regierung und kulturfeindlichen Strömungen in der Türkei. Die Unterzeichner gehen eine ganze Reihe von Themen an, darunter auch Frauenmorde, Justizsystem, Umweltschutz, Arbeitsschutz, Kunst und Kultur und fragen: “Wie kann man unter diesen Umständen heutzutage glücklich sein?”
Die Tageszeitung Evrensel hat den Text der Erklärung abgedruckt (auf Türkisch).
Die „ergrauten Weisen“ melden sich zu Wort
101 meist ältere Intellektuelle aus unterschiedlichen sozialen und politischen Lagern in der Türkei haben die
Opposition des Landes aufgefordert, sich zu vereinen. Nur wenn sich alle Oppositionskräfte in einem Demokratiebündnis zusammenschließen, könne die AKP des Staatspräsidenten Erdoğan bekämpft werden.
Der ehemalige Richter am EGMR, Rıza Türmen vergleicht auf der Internet-Plattform T24 den Aufruf mit der Petition Charta 77 in der Tschechoslowakei und hofft auf eine breite Unterstützung.
Bianet veröffentlicht den Wortlaut des Aufrufs auf Englisch.
Hermann-Kesten-Preis an Günter Wallraff – Cem Özdemir hält Laudatio.
Förderpreis an „Mada Masr“ und Lina Attalah.
„Furchtlos für die Meinungsfreiheit gegen alle Widerstände: Der Hermann Kesten-Preis des PEN-Zentrums Deutschland geht 2020 an den Autor Günter Wallraff“, heißt es in einer Presseerklärung des PEN. Die Auszeichnung ist mit 10.000 Euro dotiert. Der Grünen-Politiker Cem Özdemir übernimmt die Laudatio. Die unabhängige ägyptische Online-Zeitung „Mada Masr“ und ihre Chefredakteurin Lina Attalah erhalten den Hermann Kesten-Förderpreis. Lina Attalah gehört zu den wichtigsten kritischen Stimmen in der ägyptischen Medienlandschaft. Mehrfach war sie Repressalien ausgesetzt. Die Verleihung beider Preise findet am 19. November in Darmstadt statt.
Ralf Nestmeyer, Vizepräsident des PEN-Zentrums Deutschland: „Mit bewundernswertem Mut und großem persönlichem Einsatz hat Wallraff sich immer wieder für die Meinungsfreiheit sowie für politisch verfolgte Autorinnen und Autoren eingesetzt. Seine Lebensleistung verdient unsere aufrichtige Bewunderung.“ Zuletzt rief Wallraff die Initiative Assange Helfen ins Leben, die für die Entlassung des inhaftierten WikiLeaks-Gründers Julian Assange eintritt.
Das KulturForum gratuliert seinem langjährigen Freund und Unterstützer aufs Herzlichste, wünscht ihm und seinem Team weiterhin erfolgreiches Wirken!
Kultur-online ++ Kultur-online ++ Kultur-online ++ Kultur-online +++
Hagia Sophia in 3D – Virtuelles Museum
Zwar ist die Hagia Sophia in Istanbul inzwischen in eine Moschee umgewidmet, als Museum kann sie dennoch online besichtigt werden. Vor Ort in Istanbul können Touristen das Bauwerk außerhalb der Gebetszeiten weiterhin besichtigen, allerdings ist der Boden der Hagia Sophia bis auf den Krönungsplatz der byzantinischen Kaiser mit einem türkis-grünen Teppich ausgelegt. Auf der Seite 3D-Mekanlar ist das ehemalige Museum noch in alter Pracht zu bewundern.
Ara Güler – Ausstellung
Vor zwei Jahren starb Ara Güler, das „Auge von Istanbul“. Seine Fotos der Stadt und weitere Fotos können nicht nur in der Ausstellung vor Ort in Izmir, sondern auch virtuell betrachtet werden. Zum ersten Mal befindet sich eine umfassende Ausstellung des Fotografen in Izmir. Daher auch der Titel: Merhaba Izmir!
Ayşe Erkmen – EINS, ZWEI, DREI
Die Kunsthalle Vogelmann in Heilbronn ehrt die umtriebige türkische Konzeptkünstlerin Ayşe Erkmen, die vor allem mit spektakulären Außenaktionen Furore macht. Die Künstlerin hat soeben den Ernst-Franz-Vogelmann-Preis für Skulptur gewonnen. Die Heilbronner Ausstellung läuft ab sofort bis zum 1. November in der Kunsthalle Vogelmann in Heilbronn.
Refik Anadol – Digital Dreams
Maler malen mit Pinseln – Refik Anadol mit Daten. Farben werden Pixel. Die Leinwand zur LED-Wand. Refik Anadols Digital Dreams im Kurhaus Baden-Baden präsentiert die Möglichkeiten der Medienkunst auf technisch höchstem Niveau.
Bis zum 4. September 2020 im Kurhaus Baden-Baden
Die Kurden – Unterdrückung, Terrorismus und Verrat
In der ZDF-Mediathek ist zur Zeit der Dokumentarfilm von Rainer Fromm zu sehen. Die Dokumentation „Die Kurden – Unterdrückung, Terrorismus und Verrat“ beleuchtet die Wirklichkeit eines Volkes ohne Staat.
Deutsche mit „Migrationshintergrund“
Der Fotograf und Grafikkünstler Günay Ulutunçok sucht für eine Ausstellung zum Thema „Deutsche mit Migrationshintergrund“ Handy-Fotos (Halbportraits). Diese sollen dann in einer Ausstellung präsentiert werden. Kontakt zum Künstler über seine Webseite www.ulutuncok.com.
Die Ausstellung wird begleitet von einer Podiumsdiskussion, einer Performance und einem Konzert am Sonntag, den 6. September ab 15 Uhr in der Martin-Luther-Kirche in Köln, Südstadt.
Call for Papers
Die Hrant-Dink-Stiftung veranstaltet am 11. und 12. Dezember 2020 eine Online-Konferenz unter dem Titel “International Hate Speech and Discrimination Conference”. Ziel der Konferenz ist, einen Raum zu schaffen, in dem die durch Hassreden und diskriminierenden Diskurs verursachten Probleme offengelegt und analysiert werden können.
Weitere Informationen: Hrant-Dink-Stiftung