Liebe Freundinnen und Freunde des KulturForums,
der brutale Mord an zwei Frauen sorgt derzeit für landesweite Proteste in der Türkei. Feministische Organisationen wollen mit Demonstrationen auf die katastrophale Situation der Frauen im Land aufmerksam machen. Nach ihren Angaben ist die Zahl der Frauenmorde in den vergangenen sechs Jahren um mehr als 80 Prozent gestiegen. In diesem Jahr seien bereits fast 300 Frauen ermordet worden. Frauenrechtsorganisationen kritisieren seit Jahren, dass die Ermittlungsbehörden nicht ausreichend gegen die Bedrohung von Frauen vorgehen. 2021 ist die Türkei aus der sogenannten Istanbul-Konvention ausgetreten, die sich mit der Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt befasst. Nach den jüngsten Protesten hat Präsident Erdoğan eine Verschärfung des Strafrechts signalisiert, ohne jedoch auf die konkreten Forderungen von Frauenrechtsorganisationen einzugehen.
Die türkische Medienlandschaft ist derweil um eine unabhängige Stimme ärmer: Dem freien Radiokanal „Açık Radyo“ wurde von der türkischen Rundfunkbehörde RTÜK nach 30 Jahren auf Sendung die Lizenz entzogen. Der Sender wurde größtenteils von Freiwilligen betrieben und hatte ein abwechslungsreiches, liberal orientiertes Programm abseits des Mainstreams.
Auch die kritischen Stimmen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte verhallen ungehört. So fordert der EGMR seit Jahren die Freilassung des Kulturaktivisten Osman Kavala, der in einem Schauprozess zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. In einer aktuellen Stellungnahme verteidigte das türkische Justizministerium die Entscheidung gegenüber dem EGMR und wies Zweifel an der Unabhängigkeit der türkischen Justiz zurück.
Derweil scheinen sich die Beziehungen zwischen Ankara und Berlin wieder verbessert zu haben. Jüngst wurden Waffenexporte in die Türkei für über 250 Millionen Euro genehmigt, während die Angriffe der türkischen Streitkräfte in Nordsyrien weitergingen. In den letzten Jahren hatte die Ampel-Regierung nur im geringen Umfang Rüstungsgüter in die Türkei verkauft. Grund dafür war nicht zuletzt der erratische außenpolitische Kurs des NATO-Mitglieds Türkei, das eine Anschlussfähigkeit zu Russland und China signalisierte und sich an die Seite der Terrormiliz Hamas stellte.
Neben dem Rüstungsdeal sorgt derzeit auch ein weiteres Abkommen für Schlagzeilen. Im September kündigte Bundesinnenministerin Nancy Faeser in einem Interview an, nach langwierigen Verhandlungen mit der türkischen Regierung ausreisepflichtige türkische Staatsbürger künftig schneller und effektiver in die Türkei abschieben zu können. Die Ankündigung stieß in der Zivilgesellschaft auf Kritik: So wiesen mehrere Organisationen darauf hin, dass Oppositionspolitiker, Journalisten oder Menschenrechtsaktivisten bei einer Abschiebung in die Türkei nicht mit einem rechtsstaatlichen Verfahren rechnen könnten. Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl sind es vor allem kurdischstämmige Menschen aus der Türkei, die in Deutschland Asyl beantragen.
Unterdessen hat der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz für die nächste Woche Gespräche mit Präsident Erdoğan in Istanbul angekündigt, bei denen neben Wirtschaftsthemen auch migrationspolitische Fragen erneut auf der Tagesordnung stehen dürften.
Bild: Proteste gegen Femizide im Istanbuler Stadtteil Kadıköy – © Dénes Jäger