Editorial November 2024

12.11.2024 | Infomail

Rund einen Monat, nachdem die türkische Rundfunkbehörde RTÜK dem freien, größtenteils von Ehrenamtlichen betriebenen Radiokanal „Açık Radyo“ die Lizenz entzogen hatte, haben die Betreiber ein Nachfolgeprojekt ins Leben gerufen. Unter dem Namen „Apaçık Radyo“ (zu deutsch – sehr offenes Radio) wird das Programm per Livestream im Internet fortgesetzt. Laut Programmdirektor Ömer Madra soll sich an den Inhalten wenig ändern, so dass sich Zuhörerinnen auch zukünftig an den abwechslungsreichen Sendungen abseits des Mainstreams erfreuen können. 

Apaçık Radyo ist ein Beispiel für die Widerstandsfähigkeit der demokratischen Kräfte in der Türkei, die den widrigen Umständen trotzen. Unter welchem Druck Kulturschaffende im Land stehen zeigt das jüngste Beispiel des MUBI-Festivals in Istanbul. Der Landrat des Stadtteils Kadiköy hatte die Vorführung des Films „Queer“ wenige Stunden vor Festivalstart verboten, der eigentlich als Eröffnungsfilm hätte gezeigt werden sollen. Aus Protest gegen die Zensur sagten die Veranstalter daraufhin das Festival ganz ab. Als Begründung gab der Landrat an, dass der Film mit seinen provokanten Inhalten den öffentlichen Frieden gefährdet hätte – bereits in der Vergangenheit waren mit ähnlichen Vorhaltungen Kulturveranstaltungen mit LGBTIQ-Bezug verboten worden. 

Auch demokratisch-gewählte Politiker sind weiterhin nicht vor Sanktionen gefeit. Der Bürgermeister des Istanbuler Stadtteils Esenyurt, Prof. Dr. Ahmet Özer von der Oppositionspartei CHP, wurde seines Amtes enthoben und durch einen Statthalter ersetzt. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Kontakte zur PKK vor. Nur eine Woche später erlitten die drei gewählten Bürgermeister im kurdisch-geprägten Südosten der Türkei dasselbe Schicksal. Der 82-jährige Bürgermeister von Mardin, Ahmet Türk, einer der angesehensten Kurden-Politiker der Türkei, muss sein Amt schon zum dritten Mal an einen staatlichen Zwangsverwalter abgeben. Auch die Bürgermeisterin der Stadt Batman, Gülistan Sönük sowie Mehmet Karayılan in Halfeti wurden durch Zwangsverwalter ersetzt.

Den Politikern der DEM-Partei wird ebenfalls vorgeworfen, Mitglieder einer terroristischen Vereinigung – der PKK – zu sein. Auch in den letzten Legislaturperioden waren zahlreiche demokratisch-gewählte Politiker mit dieser Begründung durch Statthalter der AKP-Zentralregierung ersetzt worden.

Der gewählte neue US-amerikanische Präsident Donald Trump konnte sich hingegen den Glückwünschen von Präsident Erdoğan sicher sein. Über Telefon und in den sozialen Medien ließ Erdoğan den Wunsch verlautbaren, die Kooperation zwischen den USA und der Türkei auszubauen. Für die demokratischen Kräfte in der Türkei, wie überall in der Welt, gilt genauso wie für uns: wir stellen uns der „Trumpisierung“ entgegen! 

Es ist nicht davon auszugehen, dass die neue US-Regierung die Machthaber in der Türkei zur Einhaltung der Menschenrechte aufrufen wird und auf die Freiheit der politischen Gefangenen drängt. 

Die Namen von Osman Kavala, Can Atalay, Selahattin Demirtaş, Figen Yüksekdağ und Çiğdem Mater stehen dabei stellvertretend für Hunderte von Menschen, die wegen ihres politischen und kulturellen Engagements in der Türkei zu Unrecht inhaftiert sind.

Foto: Proteste gegen die Absetzung der kurdischen Bürgermeister im Südosten der Türkei – © demparti.org.tr