Liebe Freundinnen und Freunde des KulturForums,
die Medien in der Türkei werden derzeit von zwei Themen beherrscht – dem Friedensprozess nach der historischen Botschaft des inhaftierten PKK-Gründers Abdullah Öcalan und parallel den sich ausweitenden antidemokratischen Maßnahmen gegen die Opposition. Nach dem mit Spannung erwarteten Friedensappell Öcalans Ende Februar sortiert sich die türkische Politik aktuell neu. Der weitere Verlauf der Gespräche über den seit über 40 Jahren schwelenden Konflikt zwischen Staat und bewaffneten kurdischen Milizen ist schwer abzuschätzen. Ein zentraler Baustein ist dabei die vermittelnde Rolle der pro-kurdische Partei DEM. Präsident Erdoğan braucht ihre Stimmen im Parlament für eine Verfassungsänderung, die ihm eine weitere Amtszeit ermöglichen würde. Viele politische Beobachter vermuten genau dies als ein Motiv für die plötzliche Verhandlungsbereitschaft der AKP-geführten Regierung.
Die PKK begrüßte den Aufruf Öcalans und verkündete einen Waffenstillstand. Ob jedoch auch die kurdischen Truppen, die Teile Nordsyriens kontrollieren, in die Forderung Öcalans, die Waffen niederzulegen, eingeschlossen sind, wird von beiden Seiten unterschiedlich aufgefasst. Der Kommandeur der mit der PKK verbündeten SDF-Milizen, Mazlum Abdî, widersprach dieser Interpretation und schmiedete inzwischen einen eigenen Deal mit den aktuellen Machthabern in Syrien, der zu einem Waffenstillstand und einer Vereinigung mit den Regierungstruppen im Osten des Landes führen soll. Ungeachtet der Friedensgespräche bombardiert die türkische Armee weiterhin Ziele im Nordirak und im kurdisch kontrollierten Teil Syriens. Bei Militäroperationen in der vergangenen Woche sollen 24 kurdische Kämpfer getötet worden sein.
Innenpolitisch ist der Oberbürgermeister von Istanbul, Ekrem İmamoğlu, einer der größten Widersacher der Regierung in Ankara. Am 23. März entscheidet die Oppositionspartei CHP in Vorwahlen über ihren Präsidentschaftskandidaten für das Jahr 2028. İmamoğlu könnte dabei als aussichtsreicher Herausforderer Erdoğans ins Rennen gehen. Gegen ihn laufen mehrere Prozesse, in denen ihm langjährige Haftstrafen und Politikverbot drohen. Zuletzt ermittelte die Staatsanwaltschaft in Istanbul wegen eines angeblich gefälschten Universitätsdiploms. İmamoğlu gab sich dagegen kämpferisch und verkündete auf einer Kundgebung, dass seine Wahlerfolge der Regierung wohl ein Dorn im Auge seien.
Neben Imamoğlu waren in den vergangenen Wochen zahlreiche weitere CHP-Politiker ins Visier der Justiz geraten. Bei einer Großrazzia wurden 32 Personen festgenommen, die an der Vergabe von Aufträgen von CHP-Gemeinden in Istanbul an eine der Terrororganisation DHKP-C nahestehende Firma beteiligt gewesen sein sollen. Weitere Vorwürfe werden unter anderem gegen den CHP-Bürgermeister von Beykoz, Alaattin Köseler, und den CHP-Vorsitzenden für die Provinz Istanbul, Özgür Çelik, erhoben. Wie weit die juristische Einschüchterung geht, zeigte der Fall des bekannten Restaurantkritikers Vedat Milor. Milor hatte auf YouTube einen Beitrag über ein Restaurant der CHP-geführten Istanbuler Stadtverwaltung veröffentlicht und muss sich nun wegen möglicher „impliziter Werbung“ rechtfertigen.
Bild: Istanbuls OB İmamoğlu bei einer Kundgebung in Diyarbakır – Foto: © Ekrem İmamoğlu / Twitter