Während die Öffentlichkeit im Westen in diesenTagen auf die (Schein-)Wahlen in Russland fixiert ist, befindet sich die Türkei schon seit einigen Jahren im Dauerwahlkampfmodus: Vorgezogene Präsidentschaftswahlen, Parlamentswahlen, lokale Wahlen, die sich am Ende eigentlich immer wieder auf die Frage reduzieren lassen, ob man sich für oder gegen die Politik der AKP und ihrem Vorsitzenden Erdoğan stellt. Am 31. März kommt diese Periode nun vorerst zu einem Ende – es stehen Kommunalwahlen an, die zumindest regulär bis 2028 die letzte große Abstimmung sind. Auf dem Spiel stehen vor allem die Oberbürgermeisterpositionen in den Provinzen, darunter Istanbul, Ankara und Antalya, die mit großem politischen Einfluss und finanziellen Ressourcen einhergehen.
Glaubt man den letzten Prognosen könnte der amtierende Oberbürgermeister von Istanbul Ekrem İmamoğlu sein Amt verteidigen – und das obwohl sich die türkische Opposition höchst uneins zeigt. Besonders im Fokus steht wieder einmal das Verhältnis der größten Oppositionspartei CHP zu dem kurdischen Bevölkerungsteil. Auch mit ihrem neuen Vorsitzenden Özgür Özel wurde es verpasst, auf die DEM, die Nachfolgepartei der pro-kurdischen HDP, zuzugehen. Letztlich entschied sich die DEM eine eigene Kandidatin für die Wahl in Istanbul aufzustellen – was möglicherweise einen entscheidenden Stimmverlust für İmamoğlu bedeuten könnte.
Der Gegenkandidat der AKP-Regierung erwies sich bislang als äußerst blass. Politische Beobachter hatten schon im Vorfeld gemutmaßt, dass der wenig profilierte Bürokrat Murat Kurum lediglich als Proxy für Präsident Erdoğan antreten würde. Dies wurde in den letzten Wochen noch einmal untermauert, als Erdoğan ankündigte, das dies sein letzter Wahlkampf vor einem politischen Rückzug zum Ende seiner Amtsperiode in 2028 sein würde. Inwieweit es sich dabei um ein Wahlkampfmanöver handelt, um die eigene Wählerschaft zu mobilisieren oder ob der Machtpolitiker tatsächlich Rückzugspläne hegt, bleibt abzuwarten.
Unklarheit herrscht auch darüber, wie sich die aktuellen Krisen in den Wahlergebnissen niederschlagen. Die Teuerungsrate in der Türkei zeigt aktuell wieder deutlich nach oben, die Lira ist im Vergleich zum Euro auf einem Rekord-Tiefstand und die offiziellen Arbeitslosenquote ist im Januar auf über neun Prozent gestiegen. Besonderes Augenmerk dürfte auf den Bewohnerinnen und Bewohnern der Erdbeben-Gebieten liegen, für die sich inmitten der finanziellen Krise weiterhin existenzielle Fragen stellen. Vielerorts leben die Menschen noch in Zelten und versuchen selbstorganisiert über die Runden zu kommen. Der Umfang des Wiederaufbaus und finanzielle Hilfe durch die Zentralregierung könnte auch von den Wahlergebnissen abhängen, wie Präsident Erdoğan in den vergangenen Monaten wenig subtil verlautbaren ließ.
Auf den Straßen wird derweil der Meinungskorridor immer enger. An den Tagen rundum den Weltfrauentag im März kam es zwar zu zahlreichen Protesten von NGOs und aktivistischen Gruppen, die auf die prekäre Lage von Frauen und LGBTIQ-Personen in der Türkei hinweisen wollten – aber selbst kleinere Demonstrationen mit nur ein paar hundert Beteiligten stehen mittlerweile hochgerüsteten und bewaffneten Hundertschaften gegenüber, die Teile Istanbuls für den Zeit des Protests in eine Hochsicherheitszone verwandeln. Dass sich in diesem Klima überhaupt noch Menschen auf die Straßen begeben, zeugt von einer weiterhin intakten demokratischen Bewegung im Land, die noch allen Repressionen trotzt und für die anstehenden Wahlen zumindest etwas hoffen lässt.
Bild: Dénes Jäger