Editorial Februar 2023

20.02.2023 | Newsletter

Liebe Freundinnen und Freunde des KulturForums,

Rund zwei Wochen nach den verheerenden Erdbeben in der Türkei und Syrien werden noch viele Menschen vermisst, der Großteil der betroffenen Region liegt weiter unter Trümmern. Nach dem anfänglichen Schock werden Fragen nach der Verantwortung und aktuellen Umgang mit der Katastrophe immer lauter. Der Aufruf der türkischen Regierung, die Erdbeben nicht zu politisieren, hat sich ins Gegenteil umgekehrt: Wieder wird deutlich, wie von staatlicher Seite versucht wird, nur der eigenen Klientel zu dienen und sich in ein gutes Licht zu rücken. 

Bestes Beispiel war eine große Spendengala im Fernsehen, bei der vor allem regimenahe Unternehmer, die in den letzten Jahren durch staatliche Ausschreibungen massive Gewinne einfahren konnten, nun ein Bruchteil davon als Erdbebenhilfe öffentlichkeitswirksam spendeten. Bauunternehmer Mehmet Cengiz kündete an, 3 Milliarden Lira (etwa 150 Millionen Euro) zu spenden; einen Tag später bekam eine seiner Firmen per Präsidialerlass Subventionen in selber Höhe zugesprochen.

Unter der AKP wurden Gelder aus der Erdbebensteuer häufig für andere Zwecke, wie z. B. den Bau von Autobahnen, verwendet, wie einige Minister öffentlich zugeben, statt den Katastrophenschutz damit besser auszurüsten. Augenzeugen berichten, dass Hilfskonvois anderer Organisationen teils mit Fahnen der AKP oder der staatlichen Hilfsorganisation AFAD versehen wurden. Ein Krisenzentrum der pro-kurdischen HDP wurde unter Zwangsverwaltung gestellt und Hilfsgüter beschlagnahmt.

Was vor allem Hoffnung bereitet, ist die große Solidarität der Bevölkerung, die über politische und religiöse Differenzen hinausgeht. Zivilgesellschaftliche, landesweite Organisationen wie AHBAP und lokale Selbsthilfe-Gruppen wie Kırkayak übernehmen wichtige Aufgaben, wo die staatlichen Akteure kaum oder nur mit großer Verspätung aktiv werden. Auch aus dem Ausland, aus Armenien und Griechenland wird Hilfe angeboten. In vielen Ländern wie auch in Deutschland werden größere und kleinere Benefizkonzerte organisiert, Nachbarschaftsvereine und Schülerorganisationen sammeln Spenden für die Opfer. Ein Hoffnungsschimmer, nachdem das ganze Ausmaß der Katastrophe bei weitem noch nicht feststeht.

Foto: birgun.net